Für ihre dreistündige Performance FLUSS-TV schufen Lieberknecht und Gerum eine Skulptur aus 70 TV Geräten in Form von 2 Kreisen, die sie am Rheinufer der Stadt Köln installierten. Sie wählten eine Schnittstelle urbaner und landschaftlicher Bewegung: der breit fliessende Fluss mit regem Schiffsverkehr wird von einer Brücke überspannt auf der Autos und Strassenbahnen den Fluss zwischen beiden Teilen der Stadt überqueren. Eine Medienstadt, in der der Fluss der Bilder produziert wird. Aber die TVs sind aus: in ihren perlgrünen Bildschirmen spiegelt sich die Landschaft. Die Künstler haben ihre Skulptur an den Fluss als uralte Stätte der Kommunikation gestellt: schon in der Steinzeit verband der Fluss das Land und seine Bewohner, ebenso trennte er sie und musste überquert werden. Der Kreis ist das älteste Symbol für Einheit und Kontakt, die Urform für Rituale. Ähnlich den alten Steinkreisen fast aller Kulturen haben Britta Lieberknecht und Reinhard Gerum ihre TV Geräte aufgereiht und nutzen sie wie Steine, die über ein Gewässer führen: von TV zu TV bewegen sie sich auf den schmalen Oberseiten der Geräte weiter und halten diese Bewegung drei Stunden lang in Fluss.

Reinhard Gerum schreitet im männlichen Kreis vorwärts: schnell, langsam oder extrem langsam. Das Wasser des Rheines fliesst gegen ihn, riesige Container eines Frachtschiffes bilden plötzlich den Hintergrund seiner wandernden Figur, die später von einem kleinen Schnellboot durchkreuzt wird. Wer sich Zeit nimmt und herumwandert sieht aussagekräftige Bilder. Verschiedenste Tempi gehen hier eine Komposition ein: die Bewegung des Wassers, der grossen und kleinen Boote mit und gegen seine Fliessrichtung, die Bewegung des Brückenverkehrs und der andauernd fortschreitende Mann, angetrieben vom Wasser oder sich mit zäh dagegenstemmend.

Im weiblichen Kreis tanzt Britta Lieberknecht über die TV Geräte. Sie wogt im Liegen, krabbelt, quirlt mit den Armen durch die Luft in sich weiterentwickelnden Wellenmustern. Während der Mann durch die Zeit vorwärts schreitet ( Geschichte und Fortschritt schaffend?) verbindet sich die Frau mit den Elementen, fliesst wie Wasser, wie Wind, wie eine Kreatur. Müht sich, die eckigen Formen zu runden, überwindet die Kanten der TVs auch auf schmerzhafte Weise oder balanciert kurz vor dem Sturz. Es kostet Kraft, beide Performer erschöpfen sich im Verlauf des Rituals extrem, ihre Beine zittern während sie die im Kies stehenden Geräte überbrücken. Ufergestein, Büsche und Bäume, Wasser und Schiffe, die Brücke und die Zuschauer selbst spiegeln sich in den Fernsehern. Es ist ein Statement: macht den Fernseher aus damit ihr die Landschaft, die wirklichen Bilder wahrnehmen könnt. FLUSS-TV ist auch ein medienkritisches Stück, das dem Fluss der Bilder seine Sinnlichkeit wiedererkämpfen will. Urzeit und Moderne verbinden sich nicht von selbst, es braucht Bewusstheit und Opfer.

Die Zuschauer sind frei ihre Blickperspektive zu wählen, sie umrunden die Kreise mit den Performern oder lagern im Gras, sie kommen und gehen. Einige bleiben kurz, andere die ganze Zeit, einige besteigen die Rheinbrücke um von oben auf das Spektakel zu schauen oder gehen sogar über die Brücke um die Performance vom anderen Ufer aus zu betrachten. Das Laufpublikum verweilt, diskutiert oder flitzt auf dem Fahrrad kopfschüttelnd vorbei. Ruderer schreien Perversitäten. Nach drei Stunden steigen die völlig erschöpften Tänzer von ihren Kreisen und lassen sich in den Fluss Rhein fallen, der sie forttreibt. Das verbleibende Publikum applaudiert lange.

Kölner Stadt- Anzeiger

von Birgit Kirchner

“Lieberknecht und Gerum propagieren die Einbindung des Alltäglichen in ihre Kunst. Und sie erzielen damit einen ganz eigenartigen Reiz, eine Unmittelbarkeit, die weit über die Wirkung einer Bühnenpräsentation hinausreicht. Die extreme Freiheit, die dem Tanz innewohnt, beweist sich in dieser Performance mit faszinierender Stärke.“

FLUSS-TV wurde auch am Rheinufer Bonn installiert, und weitere Formen von TV-Tanzinstallationen für Landschaften und Räume wurden geschaffen:
GLEIS-TV ( 1 Std.) Zeche Zollverein, Essen: Lineare Installation auf Bahngleisen
KALK-TV ((20 min.) Festival Dampf, Köln: Lineare Installation in Industriehalle (Museum Ludwig)
KLAGENFURT-TV (3 Std.) Festival UNIKUM, Österreich: Installation Kreis und Linie in Kulturlandschaft

FLUSS -TV

Tanzinstallation in der Uferlandschaft des Rheines

Dauer: 180 Min.
Tanz und Skulptur: Britta Lieberknecht und Reinhard Gerum
Videodokumentation: Gerrit Busmann
Fotos: Franz Steinfort, Otfried Lieberknecht,