Tanzperformance über ein Paar, das seine Beziehung austestet bis an die Grenzen. Zum Zerreissen gespannt hält die Beziehung was sie verspricht.
Ausgezeichnet mit dem Kölner Tanztheaterpreis 09

Die Anziehungskraft zwischen Frau und Mann treibt das Paar dazu die Grenzen des Gewohnten zu überschreiten und in neue Räume und Verhaltensformen vorzudringen.
Sie zerstören ihre Bindung an das Alltägliche und eröffnen das Feld zum gemeinsamen Experimentieren.
Kräfte messend, spielerisch und humorvoll fordern sie einander heraus. Mit einem fast gewalttätigen und lustvollen Ritual zerreisst das Paar sich gegenseitig die Bekleidung. Die Kleider leisten Widerstand und setzen Schleuderkräfte frei, es entstehen unvorhersehbare Momente und starke Bilder. Die Geräusche des zerreissenden Stoffs und der Atem des Paares werden zur Klanglandschaft des Stücks, das ohne Musik auskommt. Auf die Entblößung folgt die Berührung des freigelegten Körpers. Im Spannungsfeld von Zerreissen und Berührung wächst die Intensität des Tanzes und die erotische Kraft der Beziehung. Aus der Berührung entsteht die Erlaubnis zum Risiko . Während das Ritual sich mit der Nackheit der Partner erfüllt entblößen Frau und Mann auch ihre Innenwelt.
Rätselhaft und bildstark zeigt die Frau Macht und Ohnmacht ihres Körperseins.

Kölner Stadtanzeiger

von Nicole Strecker

„Lieberknecht und ihre beiden überzeugenden Performer halten gekonnt die Balance zwischen spöttischem Kommentar und ernsthafter Sinnlichkeit und gewinnen der schrägen Ausgangsidee ein erstaunliches Spektrum an emotionalen Ambivalenzen ab.“

Theaterzeitung akt.7

von Christina Maria-Purkert

„Spielerisch und lustvoll, mit Kampfgeist, aber ohne irgendein Motiv des altbekannten tanztheatralen Geschlechterkampfs zu bedienen, unterziehen Olaf Reinicke und I-Fen Lin ihre Kostüme einem harten Materialtest. Nichts hält der zupackenden Choreografie stand...
Skurrile und poetische Bilder entstehen, wenn die Stuhl-Frau-Gestalt sich im Zeitlupentempo erhebt oder als Vierfüßler krabbelt, dem vier Holzbeine aus dem Rücken zu wachsen scheinen. Dieses Solo allein lohnt den Besuch der Vorstellung. Es ist das Kleinod des Abends. Was nicht heißen soll, dass die Stunde davor nicht jede Minute wert gewesen ist. Berührt, nicht zerrissen verlässt man das Theater.“

 

Komplette Presse-Artikel

Kölner Stadtanzeiger

von Nicole Strecker

Kampf mit Kleidern

Nichts schweißt mehr zusammen als ein äußerer Gegner, das gilt für die Weltpolitik wie fürs Privatleben. Rücken an Rücken gegen den Feind – so kämpft auch das Paar in Britta Lieberknechts Tanzperformance „Berühren – Zerreißen“. Der gemeinsame Gegner: die Kleidung des Paares. Als Teamarbeit reißt man sich hier Hemd und Hose vom Leib, unterzieht den Baumwollstoff – anstelle der Beziehung? - einem Belastungstest und rebelliert mit nackter Haut gegen die Widerständigkeit des Materials. In Zeiten inflationärer Medien-Erotisierung ist auch das Intimleben eine Frage gelungener und gescheiterter Inszenierung, das Liebesspiel eine möglichst originelle Turnübung – und wenn man sich die Klamotten vom Leib reißt , kann die Realität auch schon mal ziemlich unsexy aussehen. Da will ein Jeans-Stoff partout nicht reißen, auch wenn Tänzerin I-Fen Lin mit beiden Händen in der Gesäßtasche ihres Partners Olaf Reinicke hängt. Lieberknecht und ihre beiden überzeugenden Performer halten gekonnt die Balance zwischen spöttischem Kommentar und ernsthafter Sinnlichkeit und gewinnen der schrägen Ausgangsidee ein erstaunliches Spektrum an emotionalen Ambivalenzen ab.

Theaterzeitung akt.7

von Christina Maria-Purkert

Stoff- Soundtrack
„Berühren- Zerreissen“ von Britta Lieberknecht in der Alten Feurewache

„Berühren- Zerreissen“.- selten sagt der Titel eines Tanzabends dem Publikum so präzise, was es zu erwarten hat. In dieser Tanzperformance der Choreografin Britta Lieberknecht ist das Ächzen des gedehnten Stoffes, das leisere Ritsch des T-Shirt-Stoffes und das etwas lautere Ratsch der Jeans, auch schon der gesamte Soundtrack zum Stück – neben Klatschen und Reiben nackter Haut und der Laut-Leise-Skala des Atems von zwei Menschen in Bewegung. Der lange Auftakt in absoluter Stille baut Spannung auf – fast bis zum Zerreißen gespannt sitzt man da, wagt nicht, sich zu rühren, während Olaf Reinecke und I-Fen Lin vollkommen geräuschlos, am womöglich seidenen Faden zwei von drei Stühlen von einer Bühnenseite auf die andere ziehen. Die schlichten Holzstühle tragen Damenkleidung – einer ein Langarm-T-Shirt, der andere ein weißes Bustier auf der Lehne und einen dazugehörigen Slip auf dem Sitz.

Doch nach ihrem ersten Autritt werden die Stühle schnell wieder Randerscheinungen. Nicht ihnen geht das Paar an die Wäsche, sondern einander. Allerdings dauert es über die Hälfte des Abends, bis sie da ankommen. Erst mal heißt es Berühren: mal anfassen, mal ziehen am T-Shirt der Frau. Eine bauchige Figur entsteht, die an eine Schwangere erinnert. Nur noch ein bisschen ziehen, und – ratsch – das T-Shirt ist tansformiert und kann in seinen Resten als Seil für ein Pferdchenspiel herhalten. Spielerisch und lustvoll, mit Kampfgeist, aber ohne irgendein Motiv des altbekannten tanztheatralen Geschlechterkampfs zu bedienen, unterziehen Olaf Reinicke und I-Fen Lin ihre Kostüme einem harten Materialtest. Nichts hält der zupackenden Choreografie stand. Die Ratschgeräusche von zerreißendem Soff bleiben einem lange über die Vorstellung hinaus im Ohr. In „Berühren – Zerreissen“ wird jede Berührung, jeder Fetzen Stoff eine Metapher für kleine Machtkämpfe, für Spieltrieb und für die Konkurrenz, ohne die eine lebendige (Liebes-)Beziehung wohl nicht zu haben ist. Doch als der Stoff dann endgültig verbraucht ist und die beiden einander schutzlos ausgeliefert sind, werden sie vorsichtig. Eng umschlungen verbergen sie mit den nackten Körpern mehr ihre Nacktheit, als das sie sie zeigen. Schließlich löst sich I-Fen Lin aus der Umarmung und zwängt sich in die rote Unterwäsche, die auf einem der Stühle noch aufgezogen ist, ohne sie vom Stuhl zu ziehen. So fast mit dem Stuhl verwachsen, erkundet sie in einem langen Solo ihre eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten. Skurrile und poetische Bilder entstehen, wenn die Stuhl-Frau-Gestalt sich im Zeitlupentempo erhebt oder als Vierfüßler krabbelt, dem vier Holzbeine aus dem Rücken zu wachsen scheinen. Dieses Solo allein lohnt den Besuch der Vorstellung. Es ist das Kleinod des Abends. Was nicht heißen soll, dass die Stunde davor nicht jede Minute wert gewesen ist. Berührt, nicht zerrissen verlässt man das Theater.

BERÜHREN-ZERREISSEN

Tanzperformance

Choreografie, Objekte: Britta Lieberknecht
Tanz: I-Fen Lin, Olaf Reinecke
Dramaturg: Reinhard Gerum
Lichtdesign: Marc Brodeur
Videodokumentation: Gerrit Busmann
Fotos: Christian Knieps
Dauer: 60 Min.

Bühne ca. 10 x 10 m

Festival Dies de Dansa 09

Biografie I-Fen Lin
Biografie Olaf Reinecke