KUNSTRASEN rast künstlich auf einem künstlichen Rasen. Es ist ein autarkes Universum, das alles aus sich selbst heraus schafft: aus den Bewegungen werden Klänge und alle Elemente des Bühnenbildes sowie alle Performer kommunizieren und speisen einander. Der Komponist Willy Daum und die Choreografin Britta Lieberknecht haben Musik und Aktion zu einer neuen Verbindung, zu einer vielfältigen Einheit zusammengeschweisst. Eine experimentelle Biosphäre, in der sowohl die Faszination des Künstlichen als auch seine Fragwürdigkeit mit hochdynamischem Körpereinsatz in starke Bildern gefasst werden.

In KUNSTRASEN ist Bildnerisches, Musikalisches und Tänzerisches so kernhaft verbunden wie in kaum einer anderen Performance. Mit Hilfe einer interaktiven computergesteuerten Soundinstallation werden die Klänge von Bewegungsaktionen mit dem Bühnenbild zu musikalischen Geräuschkompositionen geformt. Tänzer und Musiker lösen mit ihren Körpern die akustische Ebene des Bühnenbildes aus, die der Computer weiterverarbeitet. Von fetzigen Tänzen auf dem kratzigen Untergrund über Zerschlagen von Stühlen bis zu bildnerischen Aktionen mit Spanplatten geht die sich langsam steigernde Performance weit über das Bedienen von interaktiver Technologie hinaus und hat eine starke Aussage als Bühnenstück. Die Musik bleibt nah an der geräuschhaften Akustik und Körperlichkeit der Aktionen und hebt dadurch das Bühnengeschehen plastisch hervor. Sie ist sowohl der Musique Concrète als auch der Neuen Elektronischen Musik zuzuordnen. Ein starkes avantgardistisches Stück der frühen 90er Jahre.

KUNSTRASEN spielt mit den Gesetzmässigkeiten eines künstlichen Universums. Ein stacheliger grüner Untergrund bedeckt die leere Bühne, auf ihm steht eine Spanplatte. Plötzlich schiesst ein Performer herein und wirft mit einem Knall einen Holzstuhl gegen die Platte, die umfällt. Die über den kratzigen Grund geschobene Platte tönt mit lautem Knirschen, bis der Musiker sie mit dem Holzstuhl den er auf der Platte reibt zum Klingen bringt. Tänzer stampfen, schleifen und schaben mit ihren Körpern akustisch hörbare Klänge aus dem „Kunstrasen“, die verstärkt und vom Computerprogramm transformiert eine Komposition ergeben. Aus dem Tanz selbst wird die Musik. Ihre fetzige Choreografie wird immer wieder mit Tritten auf Spanplatten und Aktionen mit einzelnen Plastikfussmatten angereichert, aus letzteren ist der Bühnenboden zusammengesetzt. Auch die Lautsprecher selbst sind Teil des Klanguniversums: sie werden auf der Bühne herumgetragen und ihre Feedbacks zu Musik moduliert. Ein Mikrofon nimmt die Berührungen der Tänzerin auf, die an einer Spanplatte hängend im Raum zu schweben scheint und eine sinnliche Zwiesprache mit der Platte führt. Der Computer auf dem grünen Grund installiert moduliert aus der Berührung Klang. Es folgt eine ruhige Passage, in der die rhythmische Komposition durch räumliches Klappen der Spanplatten ausgelöst wird. Die Tanz- und Körperbilder beziehen sich auf das Viereck, in ihm gefangen oder es brechend. Bis der Holzstuhl auf der Platte zerschlagen wird, die Matten durch den Raum fliegen, die Platten auf den Boden geschlagen werden, Klang und Bühnenbild in vehemente Bewegung geraten. Am Ende des Stücks rollen die Performer den grünen stacheligen Fussmattenboden zu einer grossen Rolle auf und legen die Tonabnehmer frei. Mit lakonischer Geste geben sie das Geheimnis preis, und enden mit einem grossartigen Bild der aufgerissenen Erde.

Kölner Stadtanzeiger

von Birgit Kirchner

“Das Gesicht der Aufführung wird geprägt durch eine neue, reibungsfreudige, mitunter fast provokante Kombination von Geräuschen, Bewegungen und Bühnenbildelementen...wo Körpersprache unmittelbar akustisch umgesetzt wird, findet die avantgardistische Ästhetik ihren wohl sinnfälligsten Ausdruck.“

POSITIONEN, Zeitschrift für Neue Musik, Berlin

von Sandra Kellein

“Was als künstlerisches Abenteuer anmutet, ist eine konsequente Darbietung, in der Tanz und Musik neue Verbindung eingehen: das Bühnenbild als Instrument.Der Tänzer ist ein Werkzeug, ein Klangkörper, ein Resonanzraum und gleichzeitig aktiv Handelnder...Gleichgewicht in der Verschiedenheit des Raums, der Körper, der Werkzeuge, der Klänge. Das Gesamtbild: eine wohldurchdachte Collage im Neuland, über ein Experiment hinausgehend.“

Kölnische Rundschau

von Christoph Zimmermann

Das Gesicht der Aufführung wird geprägt durch eine neue, reibungsfreudige, mitunter fast provokante Kombination von Bewegungen, Geräuschen und Bühnenbildelementen. In einem sportlich artistischen Solo von Britta Lieberknecht an einer Steilwand, wo Körpersprache unmittelbar akustisch umgesetzt wird, findet die avantgardistische Ästhetik ihren wohl sinnfälligsten Ausdruck. Der gestische Einfallsreichtum ist frappant.“

KUNSTRASEN

Komposition für geräuschvolles Bühnenbild und Tanzaktion

Dauer: 60 Min.
Regie, Choreografie und Bühnenbild: Britta Lieberknecht
Komposition und Computerinstallation: Willy Daum

Tanz/Performance: Frauke Havemann, Britta Lieberknecht, Reinhard Gerum, Willy Daum
Videodokumentation: Gerrit Busmann
Videostills: Gerrit Busmann